Zwei Hügel zum Verlieben

Herrlich, wie ich in 5 Metern Höhe durch die Luft fliege, den Wind in jeder Phase meines voluminösen Körpers spüre. Ich empfinde Freiheit und ein unfassbares Lebensgefühl in mir, wie ich es selten zuvor erlebt habe. Langsam, langsam verliere ich an Höhe, den Boden kann ich bereits sehen, denn Geruch des nassen Grünes unter mir bereits riechen, den Aufprall kaum erwarten. Es gibt nichts, was diesen Moment jetzt toppen könnte.

Doch was ist das? Unter mir befindet sich plötzlich eine menschliche Gestalt, die es, so scheint es mir auf mich abgesehen hat. Mit geschulten Auge berechnet sie meine Flugbahn, macht zwei, drei Schritte auf mich zu und auf einer Höhe von etwa 1,5 Meter, werde ich schließlich abgefangen. Erst in diesem Augenblick realisiere ich endgültig, dass es sich gerade um den vielleicht schönsten Tag in meinem Leben handelt. Denn wie ich soeben feststelle handelt es sich bei der menschlichen Gestalt um einen grazilen, weiblichen Körper, verpackt in einem engen Fußball – Outfit. Und eben diese Frau hat gerade, wenige Wimpernschläge sind seither vergangen, ihre wunderbar zarte Brust raus gestreckt und mich herrlich sanft in zwischen diese fallen gelassen und mich daraufhin Richtung Rasen abtropfen lassen. Mit dem Gesicht in Mitten zweier wohlgeformter…ähm, was auch immer. Bitte, bitte mehr davon.

Doch, plötzlich. Ich vernehme ein grobes, gefühlskaltes Schlüsseldrehen. Die karge Stahltür öffnet sich mit einem leichten,  nervigen raunzen, Tageslicht dringt in den düsteren Raum und durchbohrt meine Seele im wahrsten Sinne des Wortes. Mein einmaliger Traum vom wunderschön ästhetischen Frauenfußball sollte er etwa schon zu Ende sein? Zerplatzt wie eine Seifenblase.

„Jungs wir müssen, gehen“, sage ich noch zu meinen Kumpels, da werden die ersten von uns auch schon aus dem Käfig geholt und ins Freie gestoßen.

Falls sich jemand fragt was dieser ganze „Schmarrn“ hier sein soll – der Spielbericht ist aus der Sichtweise des Spielballes verfasst. Zumindest sollte es ein Versuch sein.

Wenn ich mich kurz vorstellen darf: Mein Name ist Glider – Speedcell, meine Statur würde ich als etwas rundlich, aber ganz bestimmt nicht dick bezeichnen, das Licht der Welt erblickte ich vor ca. 2 Jahren in der Volksrepublik China im Auftrag der Sportmarke mit den drei unterschiedlich langen Streifen. Nachdem ich in China, aufgrund meiner soliden Roll-Fähigkeit und meines angenehmen Handlings lange Zeit als hoffnungsvolles Talent galt, war es die Reserve von Weinstraße Süd (leider handelt es sich hierbei um eine Herrenmannschaft), die mich letztes Jahr unter Vertrag nahm und mich und ein paar gleichgesinnte im Anschluss nach Europa lotste. Da, man sich bei den zähen Vertragsverhandlungen auf eine 2-jahres Garantie für mich einigte, bleibt mir nicht mehr all zu viel Zeit die Vereins-Oberen von einer Weiteranstellung zu überzeugen.

Kommen wir zum heutigen Abend: die Jungs von Weinstraße, welche ich mittlerweile nach den vielen gemeinsam absolvierten Spielen und Trainings ganz gut kenne und auch beim Namen nennen kann, haben den Tabellenvorletzten aus Auer zu Besuch. Auch wenn im Training, der Umgang der Jungs mit mir manchmal unter aller Sau und äußerst grob ist, so habe ich die ungeschickten Tölpel doch irgendwie gern gewonnen.

20:32 Uhr. Der Schiedsrichter legt mich sorgfältig auf den Anstoß -punkt. Zwei paare Schuhe der Marke mit dem langen Haken, die sich auf den Namen „Mike“ reimt, stehen auch schon neben mir, und nach dem erfolgten Pfiff, tritt mir einer in den Arsch und das andere Paar daraufhin mitten ins Gesicht. Los geht die wilde Fahrt. In den ersten Minuten befinde ich mich vorwiegend in den Reihen der Weinstraße-Akteure, die mich für deren Verhältnisse recht ansehnlich zirkulieren lassen. Die erste Ecke in der 4.Spielminute. Linksfuß Guadagnini legt sich mich an der rechten Eckfahne zurecht und schickt mich mit einem gewieften Schuss mit Besten Grüßen in Richtung Tor. Als ich so durch den Strafraum schwebe, merke ich recht schnell, dass ich frontal auf den langen Pfosten zu steuere. Und dies obwohl ich das harte Gebälk eigentlich hasse wie die Pest. Zwei Tage brummt mir jedes-mal der Schädel. Daher versuche ich in diesem Fall eine Kollision unbedingt zu vermeiden und in letzter Sekunde gelingt es mir zum Glück einen leichten Rechts-drall zu erlangen und so bette ich mich sanft im Tornetz ein. Ein fantastisch, kuscheliges, wohl geborgenes Gefühl wie ich finde.

Keine zwei Minuten später finde ich meine Wenigkeit erneut im Kasten der Mannschaft von Auer wieder. Erneut zirkelte mich Thomas Guadagnini, dieser Schlingel –  per Ecke von rechts in den Strafraum, in diesem werde ich mehrmals getreten und geblockt, bis mich Gonzo zum 2:0 abstaubt (6.).

Noch vor der 20. Spielminute die Entscheidung. Andreas Kofler trabt mit mir an seinen Stollen von rechts in den Strafraum, wo sich plötzlich der Schlussmann von Auer vor uns groß zu machen versucht, doch bevor er mich aufschnappen kann übernimmt mich Stürmer Daniel Tomasini und streicht mich mit seinen gelben Ballerinas locker zur 3:0 Führung ins leere Tor (19.).

Mein persönlich größtes Ärgernis des Abends erlebe ich in Minute 23. Nachdem mich ein Verteidiger von Auer über den Zaun ins Tor-aus klärt, liege ich eine gefühlte Ewigkeit inmitten der Obstanlage hinterm nördlich gelegenen Tor und warte sehnsüchtig darauf von einen Ersatzspieler abgeholt zu werden, um so schnell wie möglich wieder am Spiel teilnehmen zu dürfen. In der Zwischenzeit, werde ich zwar von einem anderen Ball vertreten, doch nichts geht über dem Erlebnis – selbst auf den Platz zu stehen bzw. zu rollen.

Endlich höre ich Schritte, die sich durch das hohe Gras in meine Richtung vorkämpfen. Ich warte voller Sehnsucht darauf aufgehoben zu werden. Doch auf einmal höre ich ein seltsames rauschen neben mir und sehe auch schon einen hellen Wasserstrahl, der nur wenige Zentimeter neben mir auf den Boden aufsetzt. Die „Aufpraller“ der Wasserfontäne bekomme ich mitten ins Gesicht gespritzt. Diese freche Rotznase ist tatsächlich gerade dabei mich an zu pinkeln.

Mal davon abgesehen, dass eine solche Tat eine Mannschaftsinterne Geldstrafe mit sich zieht (allerdings nur wenn man erwischt wird) ließ die süße Rache nicht lange auf sich warten. Denn im Gefühl der Erleichterung nahm mich der Spieler schließlich in seine Hände, hob mich auf und machte sich auf den Weg zurück zur Ersatzbank. Während er so vor sich hinsummte warf er mich immer wieder von der einen in die andere Hand und ich wurde so relativ schnell wieder trocken.  An der Bank angekommen beobachte ich nun ungeduldig wie sich einer meiner Kumpels auf dem Spielfeld schlägt. Ab und an werfe ich auch einen Blick zur frechen Rotznase von vorhin und mit Genugtuung sehe ich wie er sich immer wieder mal mit seinen ungewaschenen Händen im Gesicht kratzen muss. Dieser Ahnungslose.

In der 27.Minute zentriert sich meine Konzentration wieder aufs Spielgeschehen und ich sehe wie ein Spieler aus Auer aus 40 Meter maß nimmt und die Kugel über seinen eigenen – weit aufgerückten Torhüter hinweg ins Tor schlenzt. Ein irres Ding.

Eine Minute später: nachdem Weinstraße in der Hintermannschaft etwas zu sorglos agiert, muss dessen Torhüter Alexander Schweiggl (erneut für den verletzten Zelger im Tor) aus seinem Kasten um zu klären, dies gelingt ihm zwar, doch leider gelangt erneut ein Auer Spieler an den Ball und katapultiert das Spielgerät zum 1:4 aus Sicht der Gäste ins leere Tor. Wäre ich in diesem Moment auf den Platz gewesen, wäre dies vielleicht nicht passiert – irgendwie hätte ich meine Flugbahn schon noch ins Tor-aus lotsen können. Kurz vor Seitenwechsel komme ich endlich wieder zum Einsatz und so wie ich zuvor von einem abendlichen Tiefpunkt sprach, so erlebe ich nun meinen heutigen Höhepunkt. Spielmacher Roland Terzer nahm mich seiner an. Elegant treibt er mich mit seinen schwarz-roten Schuhen, welche den selben Hersteller wie ich haben (3 Streifen). Was für ein Solo denk ich mir gerade in jenem Moment, als er mich mit einen gezielten Links-Schuss aufs Tor abfeuert. Die Aktion hat sich einfach ein Tor verdient finde ich, weshalb ich mich dafür entscheide  am Torwart vorbei ins untere rechte Eck zu fliegen. 5:1 zur Pause

Mit dem Anstoß der 2.Spielhälfte erfolgt das selbe Prozedere wie zu Beginn. Einer tritt mir in den Hintern der andere ins Gesicht – mit mir kann man’s ja machen. Trotzdem, auf ein neues.

49. Minute. Die Mannen von Weinstraße behandeln mich technisch und spielerisch nach wie vor wesentlich besser als jene aus Auer und so verwundert es nicht, dass auch schon das nächste Tor für die Gastgeber gefallen ist. Matthäus Ranigler verordnete mich mit einem zugegeben recht harmlosen Schüsschen Richtung Gäste-Tor doch bevor mich der Schlussmann abwehren konnte, plumpste ich in ein kleines Loch und so fast in Zeitlupe über dessen Arm ins Netz. Da, konnte ich nun wirklich nichts dafür.

Mit seiner letzten Aktion im Spiel verwertet mich Daniel Tomasini kurz darauf zum 7:1. Per Links-Schuss hämmert er mich innerhalb des Strafraums ins linke obere Eck und krönt damit seine starke Leistung mit einem Doppelpack (57.). In der letzten halben Stunde geht das muntere Scheibenschießen fast schon nahtlos weiter. Zu meinem Unglück ist jetzt allerdings auch öfters mal Latte oder Pfosten im Spiel. Mann, tut das weh. Doch einmal klingelt es dann doch noch. Joker Peer Michael netzt mich rechts vor dem Tor im linken Eck ein, erneut nicht ohne mich zuvor noch an den Pfosten prallen zu lassen – etwas benommen und orientierungslos springe ich von diesen langsam ins Tor (85.). Endstand: Weinstraße B – Auer 8:1.

Für mich geht’s dann nach Spielschluss auch ziemlich schnell wieder zurück in mein kühles Kämmerchen, wo ich jetzt bestimmt noch gemeinsam mit den anderen Spielbällen, den anderen sich darin befindlichen Utensilien wie Slalom-Hütchen, Trainingsleibchen oder Liege-matten vom heutigen Spiel erzählen werde um anschließend sanft einzuschlafen und hoffentlich meinen Traum fortzusetzen. Den Traum über zwei Hügel zum Verlieben.

Aufstellung:
Schweiggl, Piger, Casal (ab 56. Gretter), Guadagnini, Walter, Ranigler, Kofler Andreas (ab 58. Kofler Hannes), Paoli (ab 56. Peer), Anrather, Terzer Roland, Tomasini (ab 58. Schwarz)
Trainer: Gruber Stefan
Torschützen: 1:0 Guadagnini (4.min.), 2:0 Anrather (6.min.), 3:0 Tomasini (19.min.), 4:0 Eigentor (26.min.), 5:1 Terzer (43.min.), 6:1 Ranigler (49.min.), 7:1 Tomasini (57.min.), 8:1 Peer (85.min.)

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